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Die Moerser Geschichte

Geschichtstexte: Heiner Bontrup

Entnommen der CD-ROM "Stadtblicke Moers" (nicht mehr erhältlich)

Alle Texte ©1999-2018 plingo media. Die Verwendung in Digitalen- oder Printmedien, auch auszugsweise, bedarf der schriftlichen Genehmigung.

Odysseus in Asberg? (1000 v. Chr.)


Nachweislich ist Asberg der älteste Stadtteil von Moers. Im Jahre 12/11 v. Chr. wurde in 'Asciburgium' ein Römerlager eingerichtet.

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schreibt in seinem Geschichtswerk "Germania", dass kein geringerer als Odysseus, der sagenhafte Held der Antike, auf seiner Irrfahrt Asciburgium ca. 1000 v. Chr. gegründet haben könnte.


Steinzeit

Kosmische Nebelmassen, Änderungen der Sonnenfleckentätigkeit oder Abweichungen in der Erdbahn: Bis heute streiten sich Gelehrte über die Gründe für das Entstehen der Eiszeit. Tatsache ist jedenfalls, dass in Folge eines dramatischen Temperaturabfalls in der Epoche vor der geologischen Gegenwart riesige Eismassen von Norden her sich bis in das Gebiet der deutschen Mittelgebiete schoben. Und das für eine unvorstellbar lange Zeit: Die Eiszeit endete "erst" vor rund 10.000 Jahren. Das Millennium, dessen Ende am 31.12.1999 gefeiert wurde, ist im Vergleich dazu kaum mehr als eine Erdensekunde.


Das flache Land des Niederrheins wurde durch Gletschermassen flach gehobelt. Als sich durch die Erdaufwärmung die Eismassen abschmolzen, herrschte im Vorfeld der Eiskuchen noch immer ein ausgeprägtes Frostklima. Allenfalls Krüppelwälder konnten hier gedeihen.


Funde belegen, dass Menschen bereits während der mittleren Altsteinzeit, also vor ca. 100.000 Jahren, am Niederrhein gelebt haben. Sie mußten sich ebenso wie die Tiere diesen extremen klimatischen Bedingungen anpassen.


Wärmer wurde es erst vor 8.000 Jahren. Mit den steigenden Temperaturen änderten auch die Menschen ihre Lebensformen. In der mittleren Steinzeit (7.000 bis 4.000 v. Chr.) wurden die nomadisierenden Jäger, die hauptsächlich von der Jagd auf Rentiere lebten, seßhafter. Die "Ur-Moerser" lebten jetzt vom Wild- und Fischfang, sammelten Pflanzen und Knochen.


Mit zunehmender Seßhaftigkeit begannen die Menschen, die Natur, ihre Gesetzmäßigkeiten und Zyklen, genauer zu beobachten. Aus den Jägern und Sammlern werden in der Jungsteinzeit (4.000 - 1700 v. Chr.) Bauern. Die Niederrheiner, und mit ihnen wohl auch die "Steinzeit-Moerser", betreiben Ackerbau und Viehzucht.


Die Jungsteinzeit läßt den Niederrhein bereits zu einer Kulturlandschaft werden: Es geht um mehr als nur das nackte Überleben - das Leben soll schön sein. Unter dem Einfluß anderer Kulturgruppen entdecken die Niederrheiner die Kunst der Bechergestaltung.


Bronze- und Eisenzeit (1.700-50 v. Chr.)


Ein technologischer Riesenschritt in Richtung Zukunft war die Verwendung von eleganter Bronze statt klobigem Stein bei der Herstellung von Gebrauchs- und Kulturgegenständen, vergleichbar dem Wandel vom Benzinmotor zum Düsenantrieb. Ein Epochenübergang, der mit dem Begriff Bronzezeit (1.700 - 700 v. Chr.) verbunden wird.


Doch mit der Produktion von Bronze tat man sich am Niederrhein schwer. Die Kenntnisse über Herstellung und Verarbeitung waren vom Vorderen Orient über den Balkan nordwärts der Alpen auch nach Mitteleuropa gelangt. Doch hierzulande schien man die neue Technik nicht zu akzeptieren. Es gibt kaum Funde, die die Anwendung dieser neuen Technik belegen.


Bekannt aus dieser Zeit sind vor allem die Grabhügel. Die Toten wurden mit ihrer Habe, Schmuck und Waffen in diesen Gräbern bestattet. Ein Ritus, der sich in der Eisenzeit (ca. 400 - 50 v. Chr.) unter dem Einfluß anderer Kulturen ändern sollte. Die Toten werden verbrannt und in einfachen kesselförmigen Gräbern beigesetzt.


Der Ackerbau wird in dieser Zeit immer intensiver betrieben, was vor allem durch die höhere Leistungsfähigkeit der aus Eisen hergestellten Arbeitswerkzeuge zu erklären ist. Die typischen Häuser jener Zeit dürften einen 5 x 6 Meter großen Grundriß mit einer in den Boden eingelassenen Herdstelle haben. Getragen wurden diese Bauten von Holzständern.


Die Römer (1.700-50 v. Chr.)


Wenige Jahre nach dem Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung begannen die Römer unter Kaiser Augustus, ihr Weltreich auszubauen. Rom ließ unter dem Feldherrn Drusus Truppen gegen Germanien marschieren.


12/11 v. Chr. erreichten die Römer Moerser Gebiet und richteten im heutigen Stadtteil Asberg ein Militärlager für ca. 500 Mann ein und gaben ihm den Namen "Asciburgium". Innerhalb eines Jahrhunderts und unter weiteren römischen Kaisern wurde Asciburgium insgesamt fünfmal erweitert. Die zweite Anlage stammt aus der Zeit Tiberius', der Bau des dritten Kastells wird der Zeit des Caligula (37 - 41) oder des Claudius zugeordnet. Als ein weiteres Kastell in Flammen aufgeht, wird ein neues errichtet. In unmittelbarer Nähe entsteht zusätzlich ein zivilies Lagerdorf an der Limes-Straße, deren Verlauf ziemlich genau der heutigen Römerstraße entspricht.


Die Bedeutung Asciburgiums resultiert aus seiner strategisch günstigen Lage am Grenzverlauf des römischen Reiches und seiner unmittelbaren Anbindung an den Rhein durch einen Hafen. Als dieser Hafen verlandet, geben die Römer Asciburgium 83/85 n. Chr. auf. Die Römer ziehen ihre Truppen in anderes Grenzgebiet in die Nähe von Frankfurt/Main ab. Im 2. Jahrhundert verschwindet dann mit dem Militärlager auch das Zivildorf.


Ein Nachleben hatte das frühere stolze Militärlager aber doch noch: Um 230 gab es im Raum des früheren Asciburgiums eine Art antike Autobahnraststätte, eine soganannte Benfieziarierstation. In der Spätzeit des römischen Reiches entstand unter Kaisers Valentinianus I (364 und 375) in Asciburgium noch einmal eine militärische Anlage. Turmartige Bauten (burgi) sollten vor Überfällen Schutz bieten.


Völkerwanderung


Der Niederrheiner ist multikulturell. Das weite Land, durchsetzt mit Wäldern, Morast und gefährlichen Sümpfen, war ein Durchzugs-, ein Passagenland.


Römer haben ihre Spuren hier hinterlassen ebenso wie germanische Stämme wie Usipeter, Tenkterer und Sugambrer, die die römische Besatzungsmacht immer wieder bekämpften und schließlich von ihnen geschlagen wurden. Die Völkerwanderung im 5./6. Jahrhundert trieb Gallier an den Niederrhein und schließlich die Franken, die die Römer endgültig aus diesem Gebiet vertreiben sollten.


Der mittelalterliche Moerser dürfte also ein Compositum mixtum, eine Mischung aus den unterschiedlichsten Volksgruppen gewesen sein. Ob er indes auch ein Kosmopolit war?


Mittelalter


Nachdem Römer, Germanen und Gallier ihre Spuren am Niederrhein hinterlassen hatten, war es den Franken vorbehalten, das flache Land des Niederrheins mit einer neuen Weltanschauung zu konfrontieren: dem Christentum.


Den ganzen Niederrhein? Nein! 1957 wurden bei Ausschachtungsarbeiten für eine Siedlung in Eick West ein Friedhof mit Gräbern aus dem 6. bis 9. Jahrhundert gefunden. Schwerter, Gürtel, Schmuck, sogar Pferde, die den Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurden, lassen auf heidnische Kulte schließen.


Christlicher ging es da schon im ehemaligen Asciburgium zu, das inzwischen Eschenburg oder Asburg hieß. Ab dem 7. Jahrhundert hatte die dortige Dorfgemeinschaft bereits einen eigenen Pfarrer.


Mittelalter


Doch trotz des geistlichen Beistandes sollte sich ein anderer Ort weitaus rasanter entwickeln. Zwischen dem Moersbach und Landwehrgraben mauserte sich das "Butendorp", das Außendorf, zum kulturellen und städtischen Mittelpunkt. Als "Murse" wird dieses Dorf im 9. Jahrhundert erstmals in den Heberegistern des Klosters Werden registriert. Namen wie "Murse" oder auch "Morse" oder "Moirse", wie die Siedlung im Mittelater genannt wurde, erinnern an das einstmals unmittelbar angrenzende Moorgelände, das gemeinsam mit dem Moersbach, einem früheren Rheinarm, einen natürlichen Schutz gegen potentielle Angreifer bildete.


Es war diese strategisch günstige Lage, die im 12. Jahrhundert zum Bau des Schlosses führte. Als Landesburg ist das Schloß über Jahrhunderte Sitz der selbständigen Grafschaft Moers.


Am 20. Juli 1300 erhält die Grafschaft durch König Albrecht I. die Stadtrechte: Die Stadt Moers ist geboren.


Die neu gewonnene Souveränität wird noch im gleichen Jahr mit Mauern, Wall und Graben befestigt. Mit dem Erwerb der Stadtrechte entwickelt sich die Grafschaft auch städtebaulich rasant. Im 14./15. Jahrhundert entsteht jenseits des aufgestauten Moersbachs "die Neustadt".


Die Grafen von Moers


Die Geschichte der Grafschaft ist untrennbar mit der Geschichte der Herren von Moers verknüpft. Sie waren es, die die Geschicke der Stadt über 400 Jahre lang prägten. Der Bau des Schlosses (ab dem 12. Jh), des Karmeliter-Klosters (1448) und der Lateinschule, dem heutigen Adolfinum (1582), der Erwerb der Stadt- und Münzrechte (1300, bzw. 1373), die Entstehung der "Neustadt" (14/15. Jh.), die Einführung der Reformation (ab 1560) prägen Moers kulturell und architektonisch bis in die Gegenwart.


Dass sie, die zunächst als "Dorfvorsteher" von Repelen, Baerl, Homberg, Vluyn und Neukirchen in Erscheinung traten, sich Grafen nennen, ist eigentlich eine Unverfrorenheit. Doch die hat Methode und ist, wie so oft, erfolgreich. 1186 gibt es die erste schriftliche Nachricht über einen "Herrn von Moers". Von Anfang an mischen sich die Moerser Grafen in die große Politik ein und versuchen, für ihre Grafschaft so viel Eigenständigkeit wie möglich zu sichern.


Der zweite Moerser Graf, Theoderich II., kämpfte an der Seite Luxemburgs, des Kölner Erzbischofs und der Grafen von Berg und Geldern, damit diese die Limurger Thronfolge antreten konnten. Geschickterweise holte er sich beim Herzog von Kleve für den Fall einer Niederlage Rückendeckung: 1287 wird Theoderich II. dessen Lehnsmann.


Ein hoher Preis, denn damit entbrannte die Frage, ob seine Nachfolger weiterhin dem Herzog von Kleve lehenspflichtig oder direkt dem Kaiser unterstellt waren. In die Regierungszeit Dietrichs fällt im Jahre 1300 der Erwerb der Stadtrechte. Die vorausgegangenen Verhandlungen waren ohne Vermittlung der Klever direkt mit Albrecht I. erfolgt.


Zu den geschäftstüchtigsten Moerser Herren zählt Graf Johann. Er kaufte 1364 mit der Herrschaft Gangelt (bei Jülich) zugleich die Münzrechte. Auch Johann ist auf seine Weise unverfroren: Die Münzen (Moerser Gangelt) läßt er bereits vor dem Erwerb der Rechte drucken; sie sind die ältesten mit deutscher Inschrift.


Der Nachfolger Johanns, Friedrich III., warf sich wie zuvor schon Theodrich in jedes sich bietende Schlachtgetümmel, wurde aber gegen Ende seines Lebens weich. Der Raufbold stiftete Moers u. a. das Karmeliter-Kloster, das später durch Vincenz weiter gefördert werden sollte.


Der letzte Moerser Herr war eine Dame. Gräfin Walburgis übernahm die Amtsgeschäfte ihres Bruders Hermann, der kinderlos starb. Das Leben dieser letzten "grande dame" von Moers war wildbewegt. Ihr erster Mann, Graf von Hoorn, kämpfte an der Seite Egmonts im Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanische Zwangsherrschaft und wurde gemeinsam mit diesem in Brüssel hingerichtet. 46-jährig heiratet sie ihren 20 Jahre jüngeren Vetter Adolf von Neuenahr. Kurz vor dem Ende einer mehr als 400 Jahre dauernden Herrschaft muss das Leben im Schloß von dekadenter Pracht gewesen sein. Überliefert ist eine imposante Hofordnung.


Mit dem Tod der Gräfin im Jahre 1600 fällt Moers (ab 1601) an Moritz von Nassau-Oranien, Feldherr der Vereinigten Niederlande. Es ist der Beginn eines Jahrhunderts, das von vielen später als das Goldene bezeichnet werden soll.


Reformation


Innerhalb des traditionell katholisch geprägten Niederrheins bildet Moers eine protestantische Enklave. 1560 hatte Graf Hermann die neue Glaubenslehre Luthers in Moers als allgemeinverbindliche Religion eingeführt. Die Kirche des Karmeliterklosters wurde zur protestantischen Stadtkirche erklärt.


Hermann war ein humanistisch gesonnener Mensch, der die Pforten für verfolgte evangelische Prediger öffnete. Um dem neuen Glauben Leben einzuhauchen, hatte er die Idee, eine protestantische Kaderschmiede in Form einer Lateinschule zu gründen. Doch es sollte seinem Neffen, Adolf von Neuenahr, vorbehalten sein, diese Idee 1582 in die Tat umzusetzen.


Aus der Lateinschule ging später - in Anlehnung an Adolf von Neuenahr - das traditionsreiche Gymnasium Adolfinum hervor, dem das kulturelle Leben der Stadt Moers wichtige Impulse verdankt. Hans Dieter Hüsch, Kabarettist und Ikone des Niederrheins, Holk Freytag, Begründer des Schloßtheaters, Dr. Jürgen Schmude, Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands und früherer Bundesjustiz- und Innenminister, Burkhard Hennen, der das New Jazz Festival ins Leben rief: Sie alle waren Adolfiner.


Doch zurück zu Hermann: Der letzte Moerser Herr, dem neben seiner humanistischen Gesinnung auch ein Hang zu alkoholischen Exzessen nachgesagt wurde, unterstützte den Kölner Erzbischof Truchseß, nachdem dieser zum evangelischen Glauben übergetreten war. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Truchseß nur deswegen konvertierte, weil er die schöne Gräfin Mansfeld, eine Protestantin, im Moerser Schloß kennen gelernt hatte.


Eine für Moers verhängnisvolle Liaison, denn der neue Kölner Erzbischof Ernst von Bayern bat die Spanier, ihm bei der "feindlichen Übernahme" der vom rechten Glauben abgefallenen Stadt behilflich zu sein. Ein Ruf, den die machthungrigen Spanier gerne hörten. Im Juli 1586 standen ihre Truppen vor den Stadtmauern Moers.


Spanisches Intermezzo


Modilinas Schreckensherrschaft (1586 - 1597)


Nachdem Graf Hermann 1560 die Reformation eingeführt und den zum Protestantismus konvertierten Kölner Erzbischof Truchseß unterstützt hatte, standen Ende Juni 1586 die Spanier bereit, die abtrünnige Stadt zu übernehmen. Das Engagement der Spanier war nicht allein durch religiöse Motive bestimmt. Bereits der erste Mann von Walburgis, Graf Hoorn hatte an der Seite der Niederländer im Unabhängigkeitskampf gegen die Spanier gekämpft. Auch ihr zweiter Mann, Graf Adolf von Neuenahr, stand als Gouverneur von Utrecht und Geldern auf der niederländischen Seite.


Da Moers militärisch keine Chance hatte, fiel die Grafenstadt nach nur etwas mehr als einem Monat Belagerung im August 1586 an die Spanier, deren Truppen von Herzog von Parma angeführt wurden.


Die folgenden elf Jahre sollten zu den dunkelsten Kapiteln der Moerser Geschichte hören. Der neue Gouverneur Camillo de Modiliana errichtete eine Schreckensherrschaft. Folterungen gehörten von nun an zum Alltag. Die Bürger, arm oder reich, wurden ausgepreßt. Das folgende Jahr, 1587, brachte ein Mißernte und ein Hungerjahr. Der Brotpreis schoß um das Siebenfache in die Höhe.


Modiliana treibt unterdessen sein Unwesen weiter und schreckte nicht einmal vor Raubzügen ins Gelderland und Klevische zurück. Da Modiliana den Bogen überspannte, wurde er 1593 durch den neuen Gouverneur, Andreas Miranda, ersetzt. Die letzten vier Jahre unter den Spaniern müssen im Vergleich zu Modilianas Schreckensherrschaft erträglicher gewesen sein.


Die endgültige Befreiung von den Spaniern erfolgte 1597 durch Moritz von Nassau.


Die Niederländer


Wohlstand und Frieden (1601-1702)


1597 wurde Moers - endlich - von der spanischen Zwangsherrschaft durch Moritz von Oranien, Feldherr der Vereinigten Niederlande, befreit. Die Grafschaft wird ein Teil der Niederlande. Während in weiten Teilen Deutschlands der Dreißigjährige Krieg Städte und Landschaften verwüstet, beginnt unter der oranischen Herrschaft für Moers ein Jahrhundert kultureller Blüte und wirtschaftlichen Wachstums. Zu verdanken haben die Moerser dieses Glück Moritz von Oranien. Es war die kluge Neutralitätspolitik dieses Staatsmanns, die Moers aus den Wirren des letzten großen europäischen Religionskriegs heraushielt. Sowohl Spanier als auch Franzosen (im Holländischen Krieg von 1672 und im Pfälzischen Erbfolgekrieg von 1688) riskierten keinen AngWilhelmusriff auf die Grafschaft. Zu wehrhaft erschien den potentiellen Angreifern die kleine Stadt, die Moritz zwischen 1601 und 1620 zu einer der modernsten Festungen am Niederrhein ausgebaut hatte. Eine sternzackige mit Kanonen bewehrte Anlage schützte Stadt und Schloß gleichermaßen. Die Moerser lebten zu dieser Zeit in einem solchen Sicherheitsgefühl, dass sie sich ausgelassene Schützenfeste leisteten, während jenseits der der Stadtmauern der Dreißigjährige Krieg begann.


Zur kulturellen Blüte trug nicht zuletzt die nun wieder florierende Lateinschule, das Adolfinum, bei. So glücklich die politischen Umstände für die Moerser auch gewesen sein mögen, so werden sie doch von zwei Schicksalschlägen heimgesucht. 1605 fallen weite Teile der Altstadt einem großen Brand zum Opfer. Weitaus schlimmer ist aber, was sich in den Jahren 1622/23 ereignen soll. Nahezu die Hälfte der Moerser Bevölkerung, an die 900 Menschen, sterben an der Folge der Pest, die möglicherweise von holländischen Soldaten, die hier quartierten, eingeschleppt wurde. So betrat der Dreißigjährige Krieg doch noch, gleichsam durch die Hintertür, die Stadt.


Politisch aber blieb die Grafschaft im ruhigen oranischen Fahrwasser. Die Nachfolger von Moritz Friedrich, Heinrich, Wilhelm II. und Wilhelm Hendrik, auch Wilhelm III. genannt, sicherten durch kluge Politik die Wohlfahrt der Stadt. Zu den wichtigsten Figuren der Stadtgeschichte zählt sicherlich Wilhelm III., Graf von Moers, der ab 1688 die englische Königskrone trug. Um die Neutralität der Stadt zu sichern, schloß Wilhelm III. eigens ein Abkommen mit dem König von Frankreich. Mit dem Tod des Monarchen im Jahr 1702 war der Abfall der Grafschaft von den Niederlanden absehbar.


Die Preußen (1) - Disziplin und Steuern (1702/12 - 1794)


Ausgerechnet jene Frau, die jeder Moerser - zumindest vom Sehen her - kennt, war verantwortlich für den Wechsel der Grafschaft von den Oraniern zu Preußen: Henriette Luise, Prinzessin von Nassau-Oranien, das zu Bronze gewordene Idealbild barocker Weiblichkeit vor dem Moerser Schloß. Eine Frau von ungewöhnlicher Schönheit, wie verschiedene historische Quellen belegen, deren Ausstrahlung nicht ihre Wirkung auf den preußischen Herzog und Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg verfehlt haben wird. An ihrem 19. Geburtstag, am 27.11.1646, vermählte sie sich mit dem Preußen. Als 1702 der Oranier Wilhelm III. kinderlos starb, fiel die Moerser Grafschaft nach einem friedvollen Jahrhundert unter niederländischer Obhut an Preußen. Vier Jahre später, 1706, wird Moers gar zum Fürstentum erklärt. Brotloser Titel, denn die Moerser wollen insgeheim lieber bei den Niederländern bleiben. Für sie bleibt die formale Zugehörigkeit zu Preußen theoretisch, praktisch orientieren sich weiterhin an den Niederlanden. Preußische Vorschriften wie Steuern und Abgaben werden mit subversiver Intelligenz unterlaufen.


In diese Zeit fällt der Schulbesuch eines jungen Mannes, dessen Wirken für die reformierte Kirche einmal von großer Bedeutung sein wird. Im heutigen Textilgeschäft Carl Schultze wurde der protestantische Mystiker und Liederdichter Gerhard Tersteegen 1697 geboren. Tersteegen besucht das Adolfinum und verläßt seine Heimatstadt 1713. Er wird zum berühmtesten Lieddichter der evangelischen Kirche und zu einem der wichtigsten Initiatoren der pietistischen Bewegung, die sich durch eine starke Innerlichkeit des Glaubens sowie soziales Engagement auszeichnet. Tersteegen setzt sich tapfer wider den Zeitgeist für die Aussöhnung von Katholiken und Protestanten ein.


Über zehn lange Jahre bleibt Moers der Zankapfel zwischen Oranien und Preußen. 1712 wird es dann einem Preußen zu bunt. Ausgerechnet König Friedrich I. von Preußen, ein Sohn der Henriette Luise, Prinzessin von Nassau-Oranien, läßt im Jahre 1712 Moers durch einen Überraschungsangriff der preußischen Armee die Grafschaft einnehmen.


Mit dieser Militäraktion ohne Blutvergießen brechen für die Moerser endgültig neue Zeiten an. An die Stelle niederländischer Diplomatie, Handelsgeschick und Lebensfreude tritt preußische Disziplin. Und die Preußen erinnern sich recht gut an die Moerser Subversivität, und erhöhen Abgaben und Steuern. Die Preußenherrschaft wird - unterbrochen durch den Siebenjährigen Krieg - ein knappes Jahrhundert lang bis 1794 dauern.


Der Siebenjährige Krieg


Französisches Vorspiel (1756 - 1763)


Das Jahr 1756 brachte grundlegende Veränderungen der politischen Großwetterlage mit sich, deren Auswirkungen die Grafschaft unmittelbar zu spüren bekam. Österreich wollte im Bündnis mit den meisten kontinentaleuropäischen Staaten und unter Mitwirkung Rußlands Schlesien von Preußen zurückerobern.


Seit 1754 war es zudem zu Spannungen zwischen Großbritannien und Frankreich in Übersee gekommen. Die innereuropäischen Spannungen und der Kolonialkonflikt sollte ab 1756 zum Siebenjährigen Krieg eskalieren. Preußen, bedroht durch die neue kontinentale Allianz sah sich gezwungen die Fronten zu wechseln, gab das Bündnis mit Frankreich auf und schloß sich Großbritannien an.


1763 sollte der Siebenjährige Krieg mit dem Frieden von Schloß Hubertusberg bei Leipzig zu Ende gehen. Trotz der scheinbar erdrückenden Übermacht der Gegner gelingt es Preußen unter der geschickten militärischen Führung Friedrich II und auch wegen glücklicher, nicht kalkulierbarer Zufälle, sein Territorium zu verteidigen. Die Grenzlinien in Europa auf den Landkarten müssen nicht neu gezogen werden. Mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges wird Moers also wieder in preußischer Hand sein.


Doch während auf den Schlachtfeldern der Machtpoker der Königshäuser ausgetragen wird, wird Moers nach den Galliern und Franken bereits zum zweiten Mal mit einer Macht jenseits des Rheins konfrontiert. Obwohl die Preußen die Franzosen zweimal am Niederrhein schlagen, 1756 in der Schlacht bei Krefeld und zwei Jahre später bei Kloster Kamp, wird Moers mit Kriegsbeginn 1756 von den Franzosen besetzt.


In den Häusern der Moerser Bürger werden französische Soldaten einquartiert. Kontributionen belasten die Haushalte der Grafschafter. Die Franzosen sind anspruchsvoll; neben der normalen Verpflegung fließt Bier und Branntwein in Mengen. Alles natürlich zu Lasten der Moerser Gastwirte. Das ehrwürdige Adolfinum wird kurzerhand zur Scheune umgenutzt. Insgesamt ist es eine harte Zeit für die Grafschaft, denn Einquartierungen und Kontributionen bringen manchen Bürger an den Rand des Existenzminimums.


Die Preußen (2. Teil)


Allmähliche Befreiung vom Absolutismus


Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges stattete kein geringerer als Friedrich II. den Moersern einen Besuch ab. Eine Demonstration der Macht, bei der die Grafschafter mitspielten. Sie bereiteten dem Preußenkönig, der soeben erst seine europäische Machtstellung gesichert hatte, einen begeisterten Empfang.


Doch der schöne Schein trog. Unmittelbar nach dem Besuch ließ Friedrich II. die Festungsmauern der Grafschaft, die während des Krieges dem Schutz vor Feinden gedient hatte, abreißen. Stadtgraben und Außenanlagen blieben allerdings erhalten. Keine populäre Aufgabe, denn die Moerser waren stolz auf die Anlage, die sie durch Jahrhunderte hin relativ sicher vor den Wirren der Geschichte geschützt hatte. Nun sollten sie das traurige Handwerk auch noch selbst erledigen.


Nach den sinnenfrohen französischen Soldaten kehren nun wieder preußische Disziplin und Ordnung in die Grafschaft ein. Doch Friedrich II. steht nach eigenem Verständnis für eine neue Form des Herrschers. "Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden" - mit diesem berühmt gewordenen Ausspruch ermöglichte Friedrich II. die Religionsfreiheit der Landeskinder. Die Folge: 1778 wird in Schloßnähe die erste katholische Kirche St. Josef errichtet.


Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts setzt sich zunehmend die Aufklärung durch. Französische Philosophen und Autoren wie Voltaire, Diderot und d'Alembert, in Deutschland Kant, postulieren die Idee geistiger und bürgerlicher Freiheit. Eine Idee, die sich hier in der Provinz, fern vom preußischen Machtzentrum, schneller zu verwirklichen scheint, als in Berlin. 1781 wird die erste bürgerliche Vereinigung, die Sozietät, gegründet. Von ihr werden in Zukunft wichtige politische und gesellschaftliche Impulse ausgehen. Auch die ersten demokratischen Gehversuche sind hier, am linken Niederrhein bereits gemacht. Moerser Bauern sind mit Sitz und Stimme im Landtag vertreten. In Brandenburg ist vergleichbares zu dieser Zeit nicht denkbar.


Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts beginnt Moers sich auch wirtschaftlich zu entwickeln. Neben einer zunehmend ertragreichen Landwirtschaft entwickeln sich erste Manufakturen. Wohl von den Krefeldern inspiriert, gibt es in der Grafschaft um 1787 bereits vier Tuchfabriken, eine Gerberei und eine Handschuhmacherei.


Getrunken hat man in der Grafschaft schon immer gerne. Zwei Brauhäuser und 19 Branntweinbrennereien haben nicht unerheblich zum - modern gesprochen - stetig steigenden Bruttosozialprodukt der Grafschaft beigetragen.


Französische Revolution


Wilde Jahre in Moers (1794-1813)


"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" — Mit diesen wunderbaren Idealen, die bereits im Terrorregime Robbespierres unter die Räder der Geschichte geraten waren, wollten die Franzosen in den vier sogenannten Koalitionskriegen Europa (1792-1802) sowie den Napoleonischen Kriegen (1805 und 1806/7) beglücken. Doch die Idee von der Gleichheit aller Bürger vor dem Staat erleben die Moerser ganz anders. 1994 rückt eine französische Reiterschwadron in die Grafschaft ein. Die Stadt, die (noch) zu den Preußen gehört, wird systematisch finanziell ausgebeutet. Die Räume des Adolfinums werden in ein Kriegslazarett, die eben erst errichtete katholische Kirche in einen Exerzierschuppen verwandelt.


Erst als Moers mit den linksrheinischen Landen von Preußen aufgegeben wird und ab 1801 Teil Frankreichs wird, werden die Repressalien der früheren Besatzungsmacht erträglicher. Moers gehört nun zum "Departement de la Roer". Die Grafschaft hat nach den Preußen plötzlich wieder einen neuen Herren: Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich. Im Herbst 1804 haben die Moerser die Gelegenheit, den "Zeitgeist zu Pferde" im nahegelegenen Rheinberg zu bestaunen, als der dort ein groß angelegtes Kanalbauprojekt besichtigt. Ein Jahr später, 1805, erwirbt der Textilfabrikant Friedrich Wintgens das Schloß, in dessen Nebengebäuden richtet der Industrielle eine Baumwollspinnerei ein.


Die Zugehörigkeit zu Frankreich brachte eine gewisse Liberalisierung in Rechtsprechung und Verwaltung mit sich. Nach der desaströsen Niederlage Napoleons im Rußlandfeldzug 1815 wurde Moers mit den Rheinlanden mit dem Königreich Preußen wiedervereinigt. Die wilden Jahre waren vorbei.


Das 19. Jahrhundert


Mit der Franzosenzeit (1794-1815) ging ein bewegtes Kapitel Moerser Geschichte zu Ende. Die Zugehörigkeit zu Preußen führte die Grafschafter in ein ruhigeres politisches Fahrwasser. Demokratiebestrebungen, die Suche nach der Deutschen Einheit, das Hambacher Fest 1832, die bürgerliche Revolution 1848, Restauration, Reichsgründung 1871: Moers bleibt - gedeckt durch die Zugehörigkeit zu Preußen - bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs im Windschatten deutscher Geschichte. Was die Grafschaft im 19. Jahrhundert vor allem bewegt, sind lokale Ereignisse, die Stadtgeschichte schreiben sollen. Hier eine kleine Auswahl:


1820: Kein geringerer als der große Pädagoge Adolf Diesterweg übernimmt die Leitung des Moerser Lehrerseminars des damaligen Progymnasium Adolfinum. Bis 1832 wird Diesterweg hier tätig sein. Sein besonderes Anliegen ist hier unter anderem die Förderung der Volksschullehrer.


Um 1836: Der Textilfabrikant Friedrich Wintgens läßt durch den Landschaftsarchitekten Maximilian Weyhe den Schloßpark anlegen. Vorbild sind die englischen Landschaftsgärten.


Um 1840: Die Filder Erziehungsanstalt wird gegründet. Heute befindet sich die Moerser Musikschule dort und in unmittelbarer Nachbarschaft das Gymnasium Filder Benden. Der Gründer der Erziehungsanstalt Franz Ludwig Zahn gibt ab 1846 die Dorfchronik heraus.


1848: Als Beilage der Dorfchronik erscheint der "Grafschafter", die erste Moerser Lokalzeitung. Sie erscheint bis heute als Lokalausgabe der Rheinischen Post.


1852: Trotz politischer Spannungen im Revolutionsjahr 1848 in den Rheinlanden, die sich zum Teil gegen die preußische Obrigkeit stellen, bleiben die Moerser den Preußen gegenüber loyal. Ein Wort, das damals die Runde macht lautet: "Friedrich Wilhelm, weine nicht, du hast noch Moers und Meiderich." 1852 huldigen sie Preußenkönig Wilhelm IV. mit einem großen Festakt am Altmarkt.


1857: Die politische Loyalität der Moerser gegenüber Preußen wird belohnt: die Grafschaft wird Kreisstadt. Diesen Rang wird sie bis zur Gemeindereform 1974 behalten.


1873: Die Moderne im Zeichen der industriellen Revolution hält auch in Moers Einzug: Der Grafschaft geht ein Licht auf. Die rheinische Wassergesellschaft Köln führt in Moers die Gasbeleuchtung ein.


1882: Moers geht ans Schienennetz. Der Schluff, eine Schmalspurbahn, verbindet die Grafschaft mit Krefeld.


Vorabend des 1. Weltkriegs (1900-1914)


1900: Ein neues Jahrhundert hat begonnen. Moers ist noch ein beschauliches Städtchen. 6.240 Menschen leben hier, weitere 6.000 im Bereich der Landbürgermeisterei, die 1906 mit der Grafschaft vereinigt werden.Hülsdonk, Vinn Asberg, Hochstraß und Schwafheim werden eingemeindet. Doch mit dem Beginn des Bergbaues wird die gemütliche Grafschaft ihren Charakter verändern. Der erste Rheinpreussenschacht wird bis 1904 abgeteuft. Die neue Arbeit braucht Menschen und die brauchen ein Dach über dem Kopf. Zwischen 1904 und 1914 entsteht die Zechensiedlung Meerbeck/Hochstraß. 10.000 Menschen leben hier. Das industrielle Zeitalter hat endgültig Einzug gehalten in das Landstädtchen.


1902 wird ein scheinbar großes Jahr für Moers. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. besucht die Grafschafter, die ihm einen triumphalen Empfang bereiten. Zwölf Jahre später wird dieser Wilhelm II. Deutschland in den I. Weltkrieg führen.


Doch bis es soweit ist, wird Moers noch zwei wichtige Neuerungen erleben. 1905 erwirbt die Stadt das Moerser Schloß und öffnet den Park für ihre Bürger. Drei Jahre später wird in dem ehemaligen Sitz der Moerser Grafen, ein stadtgeschichtliches Museum eingerichtet. Noch im gleichen Jahr wird die Eisenbahnlinie Moers-Homberg eröffnet.


Am 1. August 1914 ist es dann soweit: "Mobilmachung befohlen!" lautet die Schlagzeile des Grafschafters. Wie auch im übrigen Deutschland herrscht in Moers ein verhängnisvoller "Hurra-Patriotismus". Viele glauben, daß der Krieg in wenigen Monaten erfolgreich beendet sein wird. Ein tragischer Irrtum.


Verhängnisvoller Hurra-Patriotismus (1914 - 1918)


Mit Hurra-Patriotismus hatte der I. Weltkrieg am 1. August 1914 begonnen. Doch die Auswirkungen sollten die Moerser schneller zu spüren kommen, als ihnen lieb war. bereits am 3. August wurden die Volksschulen geschlossen, einen Tag später gab es Brötchen nur noch gegen Bares, die Brotpreise stiegen sprunghaft in die Höhe. Den ersten empfindlichen Dämpfer hielt die Kriegsbegeisterung mit dem Rückschalg der Westfront an der Marne. Waren die unmittelbaren Kriegsfolgen für die Moerser zunächst nicht einschneidend spürbar, sollte sich dies mit dem "Steckrübenwinter" 1916 ändern. Mit Brot- und Milchkarten versuchte die Stadt auf die zunehmende Unterernährung durch Rationierung der Lebensmittel zu reagieren.


Mit der Kapitulation Deutschlands und der Mittelmächte im Herbst 1818 endete der I. Weltkrieg; Moers und weite Teile des Rheinlandes sowie des Ruhrgebietes bleiben bis 1826 unter belgischer Besatzung. Viele der Moerser, die mit großer Begeisterung in den "vaterländischen Krieg" gezogen sind, kehren nicht heim. Die Heimkehrer sind nicht mehr dieselben, die sie vor Kriegsausbruch waren. Der Erfahrungen des ersten Krieges, der mit den Mitteln einer industriell gefertigten Tötungsmaschinerie geführt wurde, waren nicht mehr aus den Erinnerungen zu tilgen.


Hungerjahre


Weimarer Republik (1918 - 1933)


Nach der militärischen Niederlage des Kaiserreiches und der Mittelmächte entstand in Deutschland ein Machtvakuum, das zu gewalttätigen Turbulenzen führte. Der Kampf um die Zukunft war entbrannt. Ein Kampf, der auch im einstmals beschaulichen Moers seine Spuren hinterlassen sollte. Ein Arbeiter- und Soldatenrat wollte in jenen wildbewegten Tagen die Geschicke der Grafschaft leiten. Doch die Utopie eines Arbeiterstaates blieb in Moers nur eine kurze Episode.


Belgische Soldaten besetzten im Herbst 1918 Moers. Die Besatzung der Grafschaft wie auch weiter Teile des Rheinlandes und des Ruhrgebietes dauerte bis 1926 an. Wieder wurde das Lehrerseminar als Kaserne für belgische Soldaten zweckentfremdet. 1.000 Militärs sollte die Stadt aufnehmen. Rationierung der Lebensmittel war die Folge. Die ersten Jahre der noch jungen Weimarer Republik waren für Moers Hungerjahre.


Die Lage sollte sich noch verschärfen, als im Jahre 1923 die Franzosen, von Belgiern unterstützt, das Ruhrgebiet besetzten. Wegen der strategisch wichtigen Lage wurden weitere Soldaten in Moers einquartiert. Eine Maßnahme, die die patriotischen Gefühle der Moerser wieder aufkeimen ließ. Die Reaktion der Besatzer war kompromißlos. Im Januar 1923 wurden Landrat, Bürgermeister sowie mehrere Demonstranten ausgewiesen.


Zu einer nachhaltigen politischen und wirtschaftlichen Entspannung kam es erst mit dem Abzug der belgischen Besatzung im Januar 1926. Dazu trug nicht zuletzt die Industrialisierung am linken Niederrhein bei. 1927 gehen in Repelen die Schachtanlagen Heinrich Pattberg, in Betrieb.


Humanitäre Katastrophe


Nationalsozialismus und II. Weltkrieg (1933 - 1945)


Massenarbeitslosigkeit und ein schwindelerregender Geldwertverfall bereiten Ende der 20er und zu Beginn der 30er Jahre den Nährboden für die Machtergreifung der Nazis. Sie werden Deutschland in den Zweiten Weltkrieg, unermessliches Elend und in ein moralisches Desaster steuern.


Obwohl auch Moers unter der belgischen Besatzungszeit sowie später unter Arbeitslosigkeit zu leiden hatte, entwickelte sich die Grafschaft nicht zu einer nationalsozialistischen Hochburg. Dennoch stieg die NSDAP bereits im Jahre 1930 zur stärksten Partei in Moers auf. Immer wieder kam es zu gewalttätigen Übergriffen der SA, besonders in Meerbeck, wo die Nazis ihre politischen Hauptgegner, die Kommunisten, vermuteten.


Mit der Machtübernahme 1933 änderte sich das Klima in der Stadt grundlegend. Der sozialdemokratische Ratsherr Wilhelm Holtschneider wird von den Nazis aus dem Rathaus geworfen, sein Haus von SS-Schergen durchsucht. 1936 musste sich ein Bürger für den Kauf eines Kinderbettes bei einem jüdischen Händler vor einer SA-Standarte rechtfertigen. Im November 1938 richtet sich der Terror - wie vielerorts in der sogenannten Reichskristallnacht - gegen die jüdische Synagoge. Im gleichen Monat begann Verfolgung und Deportation der rund 200 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde, der für viele im Konzentrationslager endete. Der jüdische Friedhof wurde geschändet und von der Hitlerjugend als Exerzierplatz genutzt.


Wie viele andere Städte wird auch Moers im Zweiten Weltkrieg zur Zielscheibe von Luftangriffen der alliierten Luftwaffe. Moers liegt inmitten Einflugschneise der britischen Bomberverbände mit Kurs auf das Ruhrgebiet. Von strategischer Bedeutung ist besonders das in Meerbeck liegende Treibstoffwerk Rheinpreußen. Bereits ab Mai 1940 wird Moers immer wieder von Bomberangriffen attackiert, die Menschenleben fordern. Ab 1941 gingen die Briten zu Flächenbombardements über. Zur schrecklichsten Nacht in der Geschichte Moers' wurde der 8. November 1944. 732 Tonnen Spreng- und Brandbomben gingen beim Angriff auf das Treibstoffwerk Rheinpreußen auf Moers und Homburg nieder.


Für Moers endet dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation am 4. März 1945. An diesem Tag besetzen amerikanische Soldaten die Grafschaft.


Die 50er Jahre


Wirtschaftswunderjahre


Am 4. März 1945 besetzen amerikanische Truppen Moers. Für die Grafschaft bedeutet dies, zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation das Ende des II. Weltkrieges. Das Kriegsende brachte Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, das Ende der Flächebombardements, aber auch Hunger. Jedem Bürger stand täglich lediglich ein Achtelliter Magermilch zur Verfügung. Bis '47 sollte sich die Lage nicht wesentlich bessern. Hamsterer auf den Feldern der Umgebung gehörten zum Alltag jener Hungerjahre.


Mit der Währungsreform 1948, dem Marshallplan und der Gründung der Bundesrepublik wurden die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen des sogenannten Wirtschaftswunders gelegt. Zu dessen Motor wird in Moers besonders der Bergbau. Bereits unmittelbar nach Kriegsende fuhren die Kumpel wieder unter Tage, um das schwarze Gold zu fördern. Zwischen Kriegsende und 1950 steigt die Fördermenge sprungartig an, ein Verdienst zu dem nicht zuletzt die Zeche Friedrich Pattberg wesentlich beitrug. Die dort geförderte Kokskohle wurde in einer Großkokerei verarbeitet. 1957 verfügte diese Anlage bereits über 200 Öfen; pro Kalendertag wurden dort 3.300 Tonnen Koks erzeugt.


Beachtlich war auch die Wiederaufbauleistung. Durch die Flächenbombardements zog sich durch die Stadt eine Schneise der Verwüstung. Von allen Stadtteilen war Meerbeck durch die Bombenangriffe am stärksten betroffen. 70 Prozent des Arbeiterviertels lagen in Schutt und Asche. Bereits in den frühen 50er Jahren waren die diese Spuren des Zweiten Weltkriegs beseitigt.


Von den 60ern bis in die Gegenwart


"Das Wunder von Moers"


Vietnam-Krieg. Studentenproteste. Straßenschlachten in Paris, Berlin, Washington. Die Welt sollte sich in den 60er Jahren nachhaltig verändern. Auch im scheinbar ruhigen Moers beginnen sich Risse zu zeigen, die fortan quer durch die Gesellschaft gehen, in der die Protagonisten der "alten Zeit" mit denen der neuen um die geistige Führerschaft ringen. In Moers sind es vor allem Burkhard Hennen und Holk Freytag, die für den Wandel der Grafenstadt in eine niederrheinische Kulturmetrople stehen. Burkhard Hennen rief 1971 das Moerser Jazz-Festival ins Leben, das sich zur Drehscheibe des Free Jazz und der Improvisierten Musik sowie in neuerer Zeit der Weltmusik entwickeln sollte.


Holk Freytag, ab der Spielzeit 2000/2001 Intendant des Staatstheaters Dresden, gründete 1975 das Schloßtheater Moers (STM), das für Wirbel in der bundesrepublikanischen Theater-Szene sorgen sollte. Holk Freytag bezeichntete diesen kulturellen Aufbruch in einem Gespräch mit dem Autor als das "Wunder von Moers", wozu sicherlich auch das Internationale Comedy Arts Festival (seit 1977) zählt.


Nach den unmittelbaren Wiederaufbauleistungen der 50er Jahre verändert sich ab den 60er jahren auch das archtitektonische Gesicht der Innenstadt. Fiel in den 60ern noch, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, wertvoller historischer Baubestand den Abrißbirnen zum Opfer, setzte in den 80er Jahren ein Umdenken ein. Die historische Altstadt wird denkmalgerecht saniert und der Altmarkt ist wieder Treffpunkt der Menschen.


Bereits in den 60er Jahren beginnt sich die Bergbaukrise abzuzeichnen. Der Strukturwandel führt zur Schließung so traditionsreicher Zechen wie Rheinpreußen (1990) und Friedrich Pattberg (1993). Die Stadt reagiert und entwickelt ab Mitte der 60er Jahre die Gewerbegebiete Hochstraß und Hülsdonk. 1975 werden im Rahmen der kommunalen Neuordnung Kapellen und Rheinkamp eingemeindet. Im gleichen Jahr endet eine große Tradition. Wesel wird an Stelle der Grafschaft Kreisstadt.


Auch die 80er und 90er Jahre im Zeichen des Strukturwandels, den die Stadt durch die Förderung des Dienstleistungssektors zu bewältigen sucht. Modellhaft und von der überregionalen Presse hochgelobt endet nach 1996 nach 15 Jahren Arbeit die Sanierung der Zechensiedlung Meerbeck/Hochstraß. 1997 beginnt die Erschließung des Gewerbeparks Genend, ein Gemeinschaftsprojekt der Städte Moers, Kamp-Lintfort, Neukirchen-Vluyn und Rheinberg.