Hindert die Politik das Ehrenamt?

06.03.04 (RP)

Hindert die Politik das Ehrenamt?

Runder Tisch diskutierte Thesen von Thomas Leif

MOERS. Als lobenswerten Versuch, das Thema Ehrenamt umfassend zu behandeln, bezeichnte Rainer Tyrakowski-Freese, Vorsitzender des Runden Tisches Ehrenamt und Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, die Thesen von Thomas Leif. Die Thesen seien aber zum Teil oberflächlich und undeutlich formuliert und nicht dazu geeignet, als allgemeingültig angesehen zu werden. Gemeinsam mit den Mitgliedern des Runden Tisches diskutierte er am Donnerstagabend über kritische Bestandsaufnahme des Autors unter dem Thema „Der Bürger als Lückenbüßer”.

„Natürliche Feinde”

„Gibt es einen schwachen oder einen entwickelten Gemeinsinn?” - dies sei die zentrale Frage, so Tyrakowski-Freese. Gemeinsinn habe nur wenig mit Geld zu tun, das habe sich zum Beispiel in Kriegszeiten gezeigt. Einer der größten Fehler des Systems sei es, dem Staat zuviel Freiraum zu geben und diesen Freiraum dem Individuum zu nehmen, lautete die Kritik eines Diskussionsteilnehmers.

„Viele Ehrenamtliche würden viel mehr unternehmen, wenn man sie denn lassen würde. Viele Verbände sehen Ehrenamtliche als Konkurrenten, sie betrachten sie als ihre natürlichen Feinde”, meinte Claus-Peter Küster, engagierter Bürger aus Scherpenberg. Dem widersprach Tyrakowski-Freese: „In Moers ist viel ehrenamtliches Engagement erst durch die Verbände angeschoben worden.” Vera Breuer (Jugendamt der Stadt Moers): „Die Diskussion darf auf keinen Fall unter dem Motto ,Ehrenamt statt Hauptamt’ geführt werden.”

Nicht unwidersprochen wollten die Diskussionteilnehmer auch die These stehen lassen, dass es zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr massive Nachwuchsprobleme gebe. Das Gegenteil sei der Fall. In Neukirchen-Vluyn zum Beispiel gebe es eine lange Warteliste bei der Jugendfeuerwehr, bei der Einsatzfeuerwehr dagegen klage man über Personallücken. „Viele Freiwillige Feuerwehrleute bekommen massive Probleme in ihren Betrieben, weil sie zum Teil für Stunden wegen eines Einsatzes ausfallen”, erläuterte Thomas Wenzel (SPD), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. „Dann ist das kein Ausdruck dafür, dass niemand mehr ehrenamtlich arbeiten will. Das Gemeinsinn-Problem liegt dann eher bei den Firmen als bei den Bürgern”, folgerte der Vorsitzende des Runden Tisches.

Auch das Engagement von deutschen Unternehmen halte sich in Grenzen. Es würde zwar viel Geld, vor allem von Großkonzernen wie Siemens oder Daimler-Chrysler, fließen, die intelligentere Version - nämlich Sachhilfe - gebe es so gut wie gar nicht. In angelsächsischen Ländern zum Beispiel würden Unternehmer Handwerker für ein gemeinnütziges Projekt zur Verfügung stellen. In den Niederlanden habe eine Werbeagentur Art-Direktoren das Marketingkonzept einer Selbsthilfegruppe kostenlos erarbeiten lassen.

Dauernd im Wahlkampf

Der Vorwurf Leifs, Politik und Bürokratie würden das Ehrenamt behindern, wurde von den Mitgliedern des Runden Tisches zumindest teilweise bestätigt - ein Beweis dafür sei zum Beispiel die Tatsache, dass in Moers lange für die Einrichtung der Freiwilligen-Zentrale gekämpft werden musste. „Uns hindert nicht die Bürokratie, uns hindert die Politik”, meinte Claus-Peter Küster. „Wenn die Politik dauernd im Wahlkampf ist, wie soll sie dann noch Zeit für andere Dinge haben?”, hieß es. Ursula Elsenbruch, SPD-Polkitikerin und seit Jahren engagierte Ehrenamtliche (Hilfe für Tschernobyl-Kinder), sieht das anders: „Mir hat die Politik bei meinen Projekten nur geholfen. Es ist wertvoll, wenn man Leute und Wege kennt. Das hat vieles erleichtert.”

Von ULRICH JOPPICH
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